Mangelnder Muttertierschutz im Staatsbetrieb Sachsenforst?

Bei dem Versuch der Rotwildreduktion wurden in den vergangenen zwei Jahren in mehreren Erzgebirgsrevieren des Staatsbetriebes Sachsenforst deutlich mehr Alttiere erlegt als Kälber. Im Forstbezirk Neudorf wurden z.B. im Revier Tellerhäuser im Jagdjahr 2016/17 23 Alttiere aber insgesmat nur 18 Kälber erlegt (Verhältnis 1 : 0,78) und im Revier Crottendorf im Jagdjahr 2017/18 29 Alttiere bei insgesamt 21 Kälbern (Verhältnis 1 : 0,72). In mehrerern Revieren wurden außerdem etwa gleich viele Alttiere wie Kälber beiderlei Geschlechts erlegt. Es ist nur sehr schwer vorstellbar, dass in diesen Revieren der gesetzlich vorgeschriebene Muttertierschutz beim Rotwild eingehalten wurde. Denn bei einer konsequenten Umsetzung des Prinzips „Kalb vor Alttier“ müsste die Jagdstrecke der Kälber auf der Revierebene stets höher sein als die der Alttiere.

Bad Driburger Erklärung fordert Muttertierschutz

Die Deutsche Wildtier Stiftung hat in ihrer Bad Driburger Erklärung aus dem Sommer 2018 Wege aufgezeigt, wie eine Reduktion von Rotwildpopulationen unter Beachtung des Muttertierschutz gelingen kann. Merkmale eines wirkungsvollen und gleichzeitig tierschutzgerechten Reduktionsprojektes sind ein Streckenverhältnis von Alttieren zu Kälbern, das tierschutzgerecht – und damit immer nach dem Prinzip „erst das Kalb und dann das dazu gehörende Alttier“ – zu realisieren ist und durch das gleichzeitig ausreichend Zuwachsträger aus der Population entnommen werden. Vor allem mit Hilfe einer intensiven Spätsommerjagd auf weibliches Rotwild ist ein Streckenverhältnis von Alttieren zu Kälbern von 1:1,5 (z.B. 10 Alttiere zu 15 Kälber) bis 1:2 ist in der Praxis möglich. Die Zahlen aus dem Erzgebirge liegen jedoch weit davon entfernt. Zwangsläufig müssen in den staatlichen Forstbetrieben Rotwildkälber verwaist sein, die aus dem Rudel ausgestoßen werden und kaum eine Chance hatten, den Winter im Erzgebirge zu überstehen.

Die detaillierten Streckendaten gießen Öl ins Feuer um die Rotwildreduktion im sächsischen Erzgebirge. Erst vor kurzem wurde die Abschussfreigabe von Rotwild für die laufende Jagdsaison stark erhöht: Fast 400 Tiere dürfen nun mehr erlegt werden, als ursprünglich vorgesehen. Dieser Fall, der es mit einer Kleinen Anfrage bis in den sächsischen Landtag geschafft hat, macht deutlich, dass der Staatsbetrieb Sachsenforst in den vergangenen Jahren ganz gegen die Intention eines Freistaates zum Alleinherrscher geworden ist. Denn die Abschusserhöhung wurde gegen den Widerstand der örtlichen Hegegemeinschaft und den des Jagdbeirates des Landkreise durchgedrückt – also gegen die verantwortlichen Akteure vor Ort. Möglich wird dies, in dem die Genehmigungsbehörde für den Staatsbetrieb Sachsenforst in der eigenen Verwaltung sitzt. Gleiches gilt bei der Prüfung möglicher Vergehen gegen den Muttertierschutz bei der Rotwildjagd in Staatsforstbetrieben – sie werden aktuell vom hauseigenen Kompetenzzentrum des Staatsbetriebes Sachsenforst verfolgt. Vergleichbar wäre die offizielle Beauftragung von VW zur Untersuchungen der Abgasaffäre!

Ein ausführliches Interview mit dem Leiter der Hegegemeinschaft Erzgebirge und gleichzeitig Förster eines regionalen Privatforstbetriebes finden Sie hier.