Umzingelt von Feinden

“Der Umgang mit Wildtieren ist vergleichsweise einfach, schwierig ist der Umgang mit den beteiligten Menschen.“ Aldo Leopold (1887-1948)

arco Rothirsch Schäle

In Deutschland leben etwa 200.000 Stück Rotwild und 82 Mio. Menschen. Anders ausgedrückt: Auf 1.000 ha leben bei uns durchschnittlich 2.300 Menschen, aber nur fünf (5!) Stück Rotwild. Auf jeden Hirsch und auf jedes Stück Kahlwild kommen damit je über 400 Einwohner, die den Lebensraum des Rotwildes auf ganz unterschiedliche Weise nutzen, sei es durch Erholung und Freizeit, Jagd oder Forstwirtschaft. Unvermeidbar kommt es dadurch auf beiden Seiten zu Konflikten. Für den Rothirsch, dessen Lebensraum durch die Zerschneidung und Urbanisierung der Landschaft und durch politische Vorgaben bereits auf etwa 25 % der Gesamtfläche zusammengeschrumpft ist, bedeutet jeder Mensch in seinem Lebensraum eine potentielle Gefahr und damit erhöhte Aufmerksamkeit und manchmal Flucht. Dies führt zu einem weiteren, indirekten Lebensraumverlust, der das Rotwild an seinem arteigenen Verhalten, nämlich der Nutzung halboffener Landschaften, fast überall hindert. Auf der anderen Seite stillt das Rotwild seinen Nahrungsbedarf zu großen Teilen durch die Nutzpflanzen des Menschen und wird damit zum „Schädling“.

Konflikte mit der Forstwirtschaft

Fast alle Wälder in Deutschland werden intensiv für die Holzproduktion genutzt. Für den wirtschaftenden Forstbetrieb ist das Rotwild ein Schädling, denn die Tiere äsen die Knospen der nachwachsenden Baumgenerationen und verlangsamen deren Wachstum. Oder sie schälen, vor allem im Winter, die Rinde der Bäume. An solchen Schälstellen dringen Pilze in den Baumstamm, dessen wirtschaftlicher Wert dadurch stark verliert. Eine Besonderheit des Rothirsches ist, dass er gerne in großen Rudeln lebt. Und selbst wenn die Populationsdichte in einem großen Gebiet insgesamt eher gering ist, kann ein Rudel Rotwild lokal bereits in kurzer Zeit einen bedeutenden Einfluss auf die Waldvegetation nehmen.

Konflikte mit der Landwirtschaft

Weit über 50 % der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Tritt das Rotwild aus dem Wald steht es unweigerlich auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche. Und wo früher vielleicht eine Rinderweide war, ist heute ein Maisacker, wo früher ein schütterer Roggen stand, steht heute hochproduktiver Weizen. Schäden, die vom Wild in landwirtschaftlichen Kulturen angerichtet werden, sind als „Wildschäden“ vom Jagdpächter dem Landwirt auszugleichen. So zahlt in vielen Regionen der Jäger die Zeche, die das Rotwild auf den Feldern verursacht.

Konflikte durch die Jagd und andere Freizeitnutzung

Das Rotwild gehört zu den jagdbaren Wildarten in Deutschland und jährlich werden rund 65.000 Stück erlegt. Wildtiere über Bejagung zu nutzen steht dabei im Einklang mit der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen. Allerdings trägt die Art und Weise der Jagd an vielen Stellen zu einer Verschärfung der Konflikte mit der Land- und Forstwirtschaft bei: Wird das Rotwild permanent durch die Anwesenheit des Jägers im Revier beunruhigt, ziehen sich die Tiere in immer dichtere Waldbereiche zurück und hier müssen sie ihren Hunger notgedrungen mit Baumrinde stillen. Diese ungewollten Fraßeinwirkungen verschärfen sich, wenn Rothirsche auch in der Nacht bejagt werden und den schützenden Wald zu dieser Zeit ebenfalls nicht verlassen. Noch gravierender sind aber Störungen im Winter: Sie verhindern, dass Rotwild Energie und damit Nahrung sparen kann.

Neben unkluger Jagd werden die Lebensräume des Rotwildes zunehmend durch Spaziergänger, Mountainbiker, Geocacher, Pilzsammler und andere Erholungssuchende beunruhigt. Dadurch steigen die Wildschäden im Wald und die Jagd wird noch intensiver – ein Teufelskreis, bei dem der Rothirsch zum Sündenbock für menschliches Fehlverhalten wird.

Konflikte durch die Zerschneidung der Landschaft

Wie kaum eine andere Wildart leidet das Rotwild in Deutschland an der Zerschneidung der Landschaft durch Straßen. Eingezäunte Autobahnen oder auch Kanäle mit steilen, betonierten Ufern stellen unüberbrückbare Hindernisse für Wildtiere dar. Damit kann das Wild in Deutschland nicht mehr wandern. Zusätzlich bringen Straßen Störungen mit sich und transportieren den Menschen in den letzten Winkel.

Konsensfähige Managementkonzepte für diese Art zu erarbeiten ist damit nicht einfach
Längst ist ein übergreifender Politikansatz für das Rotwild überfällig. Rotwildpolitik ist nicht allein Jagd- oder Forstpolitik. Es geht darum, die Ansprüche der Tierart mit einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung zu verzahnen.

Beschränkt auf behördlich vorgeschriebene Rotwildbezirke und zurück gedrängt in dichte Wälder bleibt ihm oft nicht mehr, als an der Rinde der Bäume zu „knabbern“.

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